Riverside am 26. März 2019 in Zwolle, NL
Nach langer Zeit war ich wieder einmal allein unterwegs - nach Zwolle in den Niederlanden. Hier spielten am 26. März 2019 Riverside - Progressive Rock aus Polen vom Allerfeinsten. Ich hatte einen Gig ihrer Wasteland-Tour schon letztes Jahr zusammen mit meiner Freundin in Berlin erlebt und befunden, dass das nicht reichte, so sehr hatte mich das Konzert berührt.
Vielleicht hätte ich den Umweg über die Garderobe im Hedon nicht machen sollen, denn die erste Reihe vor der Bühne war schon besetzt. Eine kleine Lücke fand ich dann doch noch, in die gerade mal ein Mensch passte. Links und rechts von mir war Platz für Videoaufnahmen abgesperrt... Ich hoffte inständig, dort bleiben zu dürfen, denn mein Stehvermögen ist nicht gerade das allerbeste und es hilft mir sehr, wenn ich mich immer mal wieder an der Bühne festhalten kann. Auf diese stütze ich meine Ellenbogen und vertiefte mich kommunikationstechnisch in mein Schmatzfon, bis mich ein sehr freundlicher Niederländer von links in seiner Sprache anquatschte und mir einiges erzählte. Interessant, aber ich hatte nicht einmal ein Viertel seiner Ausführungen gerafft. "Shall I go away?", fragte ich ihn daher. Das verneinte er lächelnd und erklärte mir, wie ich an dieser Stelle stehen durfte und wie nicht. Ich sollte mich nur nicht so weit vorbeugen und keinesfalls meine Rübe zwischen Kamera und Band halten. "It' s for Riverside", lachte er.
Klasse! Der Abend war gerettet.
Für mich sind Vorbands - bis auf wenige Ausnahmen - ein notwendiges Übel. Diese hier, Lesoir aus den Niederlanden, zeigte nach einem wenig überzeugenden Einstieg jedoch durchaus Potential. Atmosphärischer Art Rock mit Multiinstrumentalisten. Besonders die Querflötensequenzen der Leadsängerin haben mir gefallen, aber auch die Gesangseinlagen des begabten Schlagzeugers. Ich denke, es lohnt sich, die beiden Mädels und die drei Jungs im Auge zu behalten.
Nach einer kurzen Umbaupause betraten Mariusz Duda (vocal, bass/acoustic/electric guitar), Michał Łapaj (keyboards, hammond, theremin, backing vocal), Piotr Kozieradzki (drums) und Maciej Meller (guitars) die Bühne und ließen es mit Acid Rain gleich so richtig krachen.
Das Endzeitdrama "The Road" von Cormac McCarthy war u. a. Inspiration für Wasteland, das Album, das die Junx aus Polen während ihrer aktuellen Tour zu Gehör bringen. Heavy stuff und doch so schön, weil eben nicht nur die Apokalypse
"Acid Rain is pouring down
On the caravans of shadows
Once they used to be humans
Dying of too much choice"
im Vordergrund steht, sondern vielmehr Hoffnung und vor allem Liebe, so wie im gleichnamigen Film von Viggo Mortensen (Vater) und Kodi Smit-McPhee (Sohn) ungemein berührend dargestellt.
Aber nicht nur dieses postapokalyptische, sondern vor allem auch die Verarbeitung sehr persönlicher Dramen haben das Album Wasteland inspiriert. Schicksalsschläge im Jahr 2016 hätten die Band Riverside beinahe zerstört, als ihr Gitarrist Piotr Grudziński mit nur 40 Jahren überraschend verstarb. Im Verlauf dieses Jahres verlor Mariusz Duda außerdem seinen Vater sowie einen nahen Freund, der Selbstmord begangen hatte sowie noch einen anderen ihm nahestehenden Menschen.
Nach einer einjährigen Pause beschloss die Band, als Trio weiterzumachen und so haben Ines und ich sie mit ihrem Gast-Gitarristen Maciej Meller im Frühjahr 2017 in Berlin erlebt. Sehr ernst, sehr intensiv, sehr gut.
Letztes Jahr im Oktober präsentierten sie in derselben Besetzung Wasteland in Berlin. Die Polen hatten sich offensichtlich gefangen. Sie wirkten gefestigt und hatten sich nach eigenen Angaben zu einer anderen Band weiterentwickelt, lieferten Progressive Rock vom Feinsten und zogen mich in ihren Bann, so dass ich sie unbedingt noch einmal erleben wollte.
Der folgende Song beschreibt die innige Beziehung zwischen Vater und Sohn in "The Road":
Während des Gigs in Zwolle zeigten sich Riverside ausgesprochen heiter und gelassen. Als der Drummer Piotr hinter seiner Schießbude versehentlich das Line-up nicht ganz beachtete und einen falschen Song anstimmte, ertönte schallendes Gelächter, bevor es im Programm weiterging. Darüber hinaus machte sich Mariusz ein klein wenig über die Zurückhaltung der Niederländer lustig, die nur höflich klatschen würden, anstatt ordentlich abzurocken. Das änderte sich im Verlauf jedoch grundlegend, denn das Hedon kochte und nahezu jeder verlor sich in den unendlich langen progressiven Rockhymnen, um schließlich fast schon enttäuscht zu sein, wenn wieder ein Song zu Ende ging.
Die Emotionalität und Musikalität von Mariusz Duda, Feingeist und prog-rockige Rampensau, hat mich wieder einmal bei den lauten Stücken mitgerissen und bei den leisen, gefühlvollen Songs zutiefst berührt.
Wie im Oktober war auch dieses Mal wieder der Geist von Piotr Grudziński gegenwärtig. Immerhin zählte laut Mariusz der Ausnahme-Gitarrist Maciej dieses Mal mit zur Familie und ich hoffe, dass er eines Tages auch offiziell zur Band gehören wird. Sein Spiel ist ein anderes als das von Grudzień - dennoch ihm ebenbürtig. Und so wurde Grudzień das letzte Lied des Abends gewidmet - River Down Below.
Mariusz Duda schrieb dazu auf der Bandseite:
"If the band continue to exist, the memory of Grudzień will survive", said one of my friends when I thought it was the end of RIVERSIDE. So there had to be a track on the new album that would refer to it. Not literally. It's still a story about the world in an alternative future, but you can find that reference between the lines.
The lyrics tell the story of a wanderer, who accidentally finds the grave of one of those who didn't manage to survive the apocalypse. He hears a voice, "take me from here, take me to the river, that's where I belong..."
Nach dem Konzert war ich dann aber sowas von durch. Vor allem meine Füße streikten und so war ich froh und glücklich, dass ich nur fünf Minuten bis zu meinem Hotel laufen musste.
Die Nacht war grausam. Zunächst schmerzten meine Füße und Knie höllisch und beklagten sich bitterlich bei mir: "Alte, was hottest du mit deinem 54jährigen Kadaver dermaßen ab, da machen wir nicht mehr mit, wir steigen aus!" Als ich dann nach einem ordentlichen Ibuprofen-Bolus gegen 03:00 Uhr endlich pennte, bekam ich Horrorkrämpfe in den Beinen und Zehen. Scheißegal, das war dieses Erlebnis allemal wert!
Was bleibt, sind nicht nur die Fotos unten - vielmehr ist es das unbeschreibliche Gefühl, dabei gewesen zu sein, die Musik, die Künstler nicht nur gehört und gesehen, sondern unter Gleichgesinnten intensiv gefühlt zu haben.
Die Sonne weckte mich am Mittwochmorgen schon recht früh und so sammelte ich leise jammernd meine untreuen Gliedmaßen wieder ein und stellte alle erst einmal nebeneinander unter die Dusche. Nach dieser belebenden Erfrischung schien doch noch Hoffnung zu bestehen... Das Hotelfrühstück war nicht besonders, aber es gab Hektoliter starken Kaffees, die mich reanimierten. Danach packte ich schnell und ließ mich von der strahlenden Sonne nach draußen locken. Es galt, Zwolle im Frühling zu genießen! Also latschte ich meine Füße noch ein bisschen platter und ärgerte mich auch nur ein wenig darüber, dass ich mein Köfferchen am Bahnhof wegen eines Schließfachstreiks nicht loswerden konnte und ich den langen Weg dorthin umsonst gehumpelt war.
Eine sehr entspannte Grundstimmung, Heiterkeit und Gelassenheit, hübsche kleine Geschäfte, wunderschönes Wetter, der eine oder andere Coffie, Neugier und natürlich immer wieder een klein beetje vriendelijk Smalltalk charakterisierten diese letzten Stunden niederländischer Gastfreundschaft.